Fünf Möglichkeiten das nächste Level zu erreichen
Was E-Commerce angeht, ist der traditionelle B2B-Fachhandel nicht als Vorreiter bekannt. Zwar gibt es kaum einen Großhändler, der mittlerweile nicht einen Online-Shop oder ein Kundenportal betreibt, auffällig sind aber drei Dinge: Zum einen, dass Daten bei weitem nicht in dem Maße genutzt werden, wie sie verfügbar wären. Zum anderen bleibt häufig Fachwissen über Kunden und deren Bedarf ungenutzt, und drittens kommen strategische Methoden zur Verkaufsförderung derzeit nur untergeordnet zum Einsatz.
Diese Schwächen ergeben sich, da Händler E-Commerce zu oft nur halbherzig betreiben und nicht durchgängig in ihre Vertriebsstrategie einbinden. ERP, CRM und Online- Shop oder Portal sind nur durch rudimentäre Schnittstellen verbunden, viele Daten nur in den jeweiligen Datensilos verfügbar. Dies führt dazu, dass die Grundlagen einer datengetrieben proaktiven Vertriebsarbeit fehlen. Als erster Schritt für erfolgreichen E-Commerce gilt es daher Voraussetzungen zu schaffen und z.B. über einen „Data lake“ vorhandene Daten integriert verfügbar zu machen. Als zweiter Schritt sind intelligente Datenanalysen und Algorithmen zu entwickeln, um klare Handlungsaktivitäten für die Vertriebsarbeit herzuleiten. Drittens sind schließlich Kompetenzen im Vertrieb aufzubauen sowie Handlungsempfehlungen in Vertriebsdashboards und Zielvereinbarungen zu übernehmen. Diese Grundlagen vorausgesetzt, bieten die folgenden fünf Möglichkeiten konkrete Chancen für Händler:
Systematisches Cross- und Upselling:
Jeder kennt es selbst von Amazon: Kunden, die A kauften haben auch B gekauft. Durch die Analyse großer Datenmengen werden Kaufmuster identifiziert und diese als Vorschlag für weitere Kunden genutzt. In Online- Shops wie z.B. reuter.de, casando.de oder auch megabad.com ist dies ebenfalls umgesetzt. Verbesserungspotenzial liegt hierbei für die meisten Händler darin, Crossund Upselling auch für den traditionellen Kanal als Vorschlagssystem für den Außendienst zu nutzen. Dadurch kann gerade im B2B-Fachhandel die Qualität der Produktvorschläge erheblich gesteigert werden, wenn das Fachwissen über die Kunden-Bedarfe systematisch einfließt. Kauft ein Kunde online oder offline einen Waschtisch, sollte ihm auch ein Abfluss, ein Siphon, eine Armatur, Befestigungs- und Dichtungsmaterial angeboten werden. Neben diesem Cross-Selling bietet auch Upselling erhebliches Potenzial zur Ertragssteigerung, wenn z.B. vergleichbare Marken- oder insbesondere Eigenmarken- Artikel als Alternative gezielt positioniert werden. Auch auf Preisnachlässe für den Bezug voller Packungseinheiten können Systeme ihre Kunden aktiv hinweisen. Alle erwähnten Beispiele in Bezug auf Cross- und Upselling erfolgen heute aber, insbesondere im B2B Handel, online wie offline, zu selten.
Bundling:
Eine im B2C-Online-Handel völlig übliche Methode, die in B2B-Shops noch kaum Anwendung findet, ist es zusammengehörige Artikel zu einem Paketpreis anzubieten. Im Sanitär-Online-Handel könnte beispielsweise ein „Komplett-Bad“ inkl. WC, Wanne, Waschtisch und Armaturen zum Paketpreis angeboten werden, wobei der Kunde jeweils aus bestimmten Modellen wählen darf. Dieser Nachlass greift aber nur auf das ganze „Bundle“. So soll der preissensitive Käufer dazu verleitet werden, seinen Warenkorb eher bei einem Anbieter zu füllen als die Artikel jeweils günstig von verschiedenen Shops „zusammenzukaufen“. Hersteller einzelner Gewerke, z.B. von Wärmeerzeugern, nutzen Paketpreise seit Jahren, um neben dem Hauptprodukt auch Zubehör oder ergänzende alternative Energieerzeuger über das Produktpaket mit Preisanreizen zu positionieren. Die Herausforderung steckt hierbei in der Definition sinnvoller Bündel, die den Mehrverkauf anregen. Welche Produktkategorien sind zu verbinden? Welche Markenartikel als Zugpferde zu integrieren? Werden die falschen Produkte im Paket integriert, dann kann der Paketpreis keine anziehende Wirkung entfalten.
Online Lead-Generierung:
Die bereits genannten Verbesserungshebel setzten voraus, dass die Zielkunden bereits in Ihrem Shop sind. Tatsächlich ist dies aber nur selten der Fall. Initial ist es erforderlich, auf das eigene Angebot aufmerksam zu machen und Kunden zur Nutzung des eigenen Shops zu bewegen. Hierfür ist der Online-Kanal für Suchmaschinen zu optimieren (SEO). Wichtig dabei ist eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Inhalte und initialen Customer Journey. Ein weiterer Baustein ist die Suchmaschinen-Werbung (SEA) welche Sichtbarkeit bei betreffenden Schlagwörtern zusichert. Diese Lead-Quelle hat allerdings den Nachteil, dass sie kontinuierliche Investitionen in Anzeigen erfordert. Für Händler kann dies im Gegensatz zu Herstellern besonders kostspielig sein, da großer Wettbewerb um die Schlagworte herrscht. Durch den Fachhandel wenig genutzt werden auch Social- Media-Kanäle, obwohl sich diese zielgerichtet als Lead-Quellen auch im B2B-Bereich nutzen lassen, da dort bestimmte Interessengruppen direkt angesteuert werden können. Dies ist insofern bemerkenswert, da viele Verarbeiter z.B. im Küchen-Bau, Möbel-Bau oder auch für Photovoltaik-Anlagen bereits Social Media zur Lead-Generierung erfolgreich nutzen. Wollen Händler hier nicht abgehängt werden, dann müssen sie ebenfalls auf diesen Kanälen mit hochwertigen Kampagnen auf Kundenakquise gehen. Reine Preisoptimierung reicht längst nicht mehr aus.
Optimierte Preisdarstellung für Online-Vergleichsportale:
Zumindest für Vergleichsportale wie Google Shopping sollten sich Händler sehr genau über die Darstellung ihrer Preise Gedanken machen, denn sofern mehrere vertrauenswürdige Shops zur Auswahl stehen, kauft der Online-Kunde typischerweise das günstige Produkt. Vor diesem Hintergrund kommt der engen Sortimentssteuerung im Online-Kanal und insbesondere der Auswahl der Artikel für die Tiefpreis-Kampagnen eine große Bedeutung zu. Artikel mit geringem Wettbewerbsdruck oder ohne direkte Vergleichbarkeit sollten nicht für Online-Preis-Kampagnen genutzt werden. Neben der Sortiments- Auswahl kann das Online-Preisimage auch durch eine gezielte Nutzung dynamischer Angebotspreise oder von Mengenstaffeln optimiert werden. Darüber hinaus hat es sich als Standard etabliert bestimmte Dienstleistungen, wie die Lieferung, als zusätzliche Gebühren auszuweisen. Dies hilft tiefere Preise im Vergleich zu inklusiv Preisen ausweisen zu können, welche in vielen Branchen im stationären Handel noch üblich sind. Mit Blick auf B2C-Online-Händler ist davon auszugehen, dass diese Praxis zukünftig ausgeweitet werden wird, wenn z.B. Retouren-Kosten zusätzlich verrechnet werden. Dies könnte ebenfalls eine Chance für den B2B-Online Handel darstellen.
Hybride Customer Journey ausbilden:
Insbesondere für Händler, die ihre E-Commerce- Kanäle als Kundenportale betreiben, aber auch für Betreiber reiner Online-Shops liegt großes Verbesserungspotenzial in der Optimierung entlang der Customer Journey. Diese beschriebt die Erfahrungen des Kunden von Erstkontakt bis zum Kauf bzw. dem Wiederkauf. Was dabei am besten funktioniert, hängt immer vom jeweiligen Umfeld ab. Zum Beispiel konnte ein Handelsunternehmen allein durch die geänderte Platzierung und Reihenfolge der Zahlungsarten die Conversion aus dem Warenkorb signifikant erhöhen. Ein wesentlicher Hebel liegt darüber hinaus in der Erkenntnis, dass kaum ein Online-Kunde gänzlich ohne Beratung und (physischen) Kontakt auskommt. Gelingt es Händlern diesen Bedarf nach hybrider Betreuung zu bedienen und einen nahtlosen Übergang zwischen dem Online-Kanal und dem stationären Handel und der damit verbundenen Beratung zu ermöglichen, so dürfte die Kundenbindung intensiviert und Wachstum ermöglicht werden. Dafür gibt es schon jetzt Möglichkeiten mit Chat-Bots, Video-Telefonie oder Rückruf-Assistenten. Eine derartige Vernetzung des Online-Angebots mit der „analogen“ Kundenbetreuung z.B. per Video-Call mit dem Innendienst verdeutlicht, dass mit dem Aufbau von E-Commerce organisatorische Implikationen einhergehen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass viele Potenziale für die Weiterentwicklung des E-Commerce von B2B-Fachhändlern existieren, aber zu wenig erfolgreich genutzt werden. Dabei sollten Händler nicht den zweiten vor dem ersten Schritt machen: Der Einsatz künstlicher Intelligenz und dynamischer Modelle bietet sicherlich viel Potenzial, jedoch fehlen häufig die Grundlagen oder man überfordert die eigene Organisation. Konkrete Verbesserungen in Umsatz, Absatz und Produkt- Mix lassen sich bereits über zielgerichtete Initiativen mit Fachexperten und einem Analyseteam erreichen. Zu viele Händler gehen die Transformation des Online-Kanals hin zu einem integralen Bestandteil des Vertriebs aber insgesamt noch zu zaghaft an.
Dieser Beitrag wurde ursprünglich im Januar 2023 in RAS International veröffentlicht.