Der Großhandel ist unter Druck: Nicht nur die Corona-Krise, sondern vor allem ein steigender Wettbewerbsdruck und Hersteller-Direktvertrieb machen Großhändlern Sorgen. Eine Lösung für diese Herausforderungen kann die Entwicklung von Eigenmarken sein. Wie das erfolgreich gelingt.
Der Großhandel steht unter Druck: In einer internationalen Simon-Kucher-Studie gaben Großhändler im Frühjahr 2020 an, dass steigender Margendruck und vor allem der Direktvertrieb von Herstellern sie vor große Probleme stellen – eine Entwicklung, die bereits Jahre andauert und sich durch die Corona-Krise weiter verschärft hat. Eine Lösung dafür? Ein stärkerer Fokus auf Eigenmarken. Andere Industriezweige wie der Lebensmitteleinzelhandel oder Drogerien machen das erfolgreich vor: Erstere etwa erzielen derzeit mit Eigenmarken ein Absatzvolumen von über 45 Prozent. Zudem gehen Marktforscher bis zum Jahr 2025 von 41 Prozent Wachstum im Handelsmarkenbereich aus. Und laut des diesjährigen Handelsmarkenmonitors sind 66 Prozent der Verbraucher davon überzeugt, dass Eigenmarken genauso gut sind wie Markenartikel. Doch bislang haben Großhändler nur zögerliche Schritte unternommen, dieses Potenzial auszuschöpfen.
Marktanalyse vor Entwicklung von Eigenmarken
Warum ist das so? Aus der Praxis wissen wir, dass die Initiative zur Entwicklung einer Eigenmarke bei Großhändlern häufig lieferantengetrieben ist. Zu selten resultiert ein solcher Ansatz aus den Bedürfnissen und Entwicklungen des Marktes. Ein Fehler: Denn eine Eigenmarke wird nur dann erfolgreich sein, wenn Kunden sie auch kaufen – deshalb sollte die Analyse der Marktgegebenheiten bereits in der ersten Phase der Entwicklung einer Eigenmarke miteinbezogen werden und als Richtschnur dienen. Welche Faktoren spielen in einer solchen Untersuchung eine wichtige Rolle? Einerseits sollten Großhändler mögliche Konflikte mit Herstellern bedenken; besonders zentral ist jedoch, dass sie Antworten auf folgende zentrale Fragen finden:
- Welches Marktpotenzial gibt es?
- Was ist die sinnvollste Sortimentspositionierung?
- Welche Preis- und Promotion-Strategie ist erfolgsversprechend?
- Wie sieht der beste Vertriebsansatz aus?
Schritt 1: Marktpotential strukturiert identifizieren
Der erste Schritt für die erfolgreiche Entwicklung einer Eigenmarke ist es, herauszufinden, welches Produkt das größte Marktpotenzial hat. Wie das gelingt? Indem Großhändler die Marktgröße sowie die Wechselwahrscheinlichkeit der Kunden für verschiedene Produktgruppen analysieren. Um die Wechselwahrscheinlichkeit zu verstehen, kombinieren wir quantitative Indikatoren, wie etwa die Markentreue der Handels- und Endkunden oder die Preiselastizitäten, mit qualitativen Faktoren, wie beispielsweise der Erfahrung eines Großhändlers in einer bestimmten Produktgruppe, zu einem Stimmungsbild.
Der Markt zeigt: Der erfolgreiche Launch einer Eigenmarke gelingt Großhändlern häufig in Segmenten mit niedrigerem Preisniveau, mit Produkten, die wenig Erklärungsbedarf haben und nahe an ihrer Kernkompetenz liegen. Für einen Großhändler für Handwerksbedarf könnte das etwa bedeuten, dass er seine Eigenmarke parallel zur Herstellermarke gezielt in Produktgruppen platziert, die geringen Erklärungsbedarf haben, wie beispielsweise Befestigungsmaterialien oder Installations-Zubehör. Hat sich die Eigenmarke erst einmal in diesem Bereich etabliert, bleibt anschließend Raum für Entwicklung: Ein führender europäischer IT-Distributor hat beispielsweise seine Eigenmarke ursprünglich mit Kabel- und Adapterzubehör aufgebaut. Mittlerweite konnte er die Produktpalette weiterentwickeln und bietet nun auch hochpreisige audiovisuelle Lösungen unter derselben Marke an.
Schritt 2: Positionierung strategisch festlegen
Wenn eine attraktive Produktgruppe identifiziert ist, reicht es keinesfalls, die Eigenmarke einfach zu entwickeln und ins Sortiment aufzunehmen. Beispiele aus dem Sportartikel-Einzelhandel zeigen, dass eine definierte Marken-Positionierung und eine klare Zuständigkeit im Unternehmen für das Thema Markenmanagement erforderlich sind. Großhändler müssen sich dafür darüber im Klaren sein, welche Kundenzielgruppe sie ansprechen wollen. Dafür müssen sie definieren, wo die neue Eigenmarke innerhalb der Produktgruppe positioniert ist. Gewöhnlich unterscheiden wir zwischen einer Basis-, Mehrwert- oder Kompetenz-Positionierung, die sich aufgrund ihrer Mehrwerte für die Kunden unterscheiden. Relevant ist hier, dass die gewählte Positionierung auch zu dem Image des Großhändlers passt: Wenn er sich bisher eher im Niedrigpreissegment bewegt und seine Stärke der Preiskampf ist, wird es schwierig, höher-segmentige Markenversprechen glaubwürdig zu vertreten.
Schritt 3: Preis und Promotions konsistent entwickeln
Ein weiterer wichtiger Pfeiler der Positionierung ist die Preis- und Promotion-Strategie. Dabei darf die strategische Positionierung der Eigenmarke nicht mit der Preis-Positionierung des Großhändlers kollidieren; als besonders hochwertig angepriesene Produkte dürfen also nicht zu Niedrigstpreisen verkauft werden. Zum anderen müssen sie aber auch weitere Pricing-Elemente beachten. Großhändler sollten in ihrer Pricing-Strategie auch unbedingt festhalten, welches Rabattniveau und welches Nettopreisniveau sie anstreben. Dazu ist es wichtig, ebenfalls die Sichtweise des Wiederverkäufers einzunehmen, um die Attraktivität der Stücknutzen gegenüber alternativen Markenprodukten herauszufinden. Beispielswiese ist es im Kfz-Ersatzteilbereich eine gängige Strategie, Preise direkt an ein relevantes Markenprodukt zu koppeln.
Schritt 4: den Vertrieb miteinbeziehen
Zur einer erfolgreichen Eigenmarkenstrategie gehört es, zu definieren, welche Rolle die Eigenmarke im Vertrieb einnimmt. Dabei gibt es durchaus unterschiedliche, aber ebenso aussichtsreiche Vorgehensweisen. So bewirbt etwa ein renommierter deutscher IT-Distributor seine Patchwork-Kabel-Eigenmarke als Ergänzung zum Markenprodukt, betreibt also klassisches Upselling. Ein europäischer IT-Großhändler dagegen baute seine Eigenmarke parallel zu Markenprodukten auf, um diese im eigenen Systemhausbetrieb zu vermarkten und unabhängiger zu werden. Eine weitere Möglichkeit ist es, für verschiedene Vertriebskanäle unterschiedliche Vermarktungsstrategien zu wählen. Insbesondere im E-Commerce ist die visuelle Positionierung der Eigenmarke immer auch eine strategische Entscheidung. Da das Management dieser unterschiedlichen Aspekte spezielle Kompetenzen erfordert, empfiehlt es sich, einen eigenen Verantwortungsbereich dafür in der Organisation zu schaffen. So stellen Großhändler auch sicher, dass ihre Eigenmarke im Vertrieb ausreichend Gewicht bekommt.
Ungeachtet der gewählten Vertriebsstrategie sollten Großhändler ihre Vertriebsmitarbeiter entsprechend schulen. Damit diese die Attraktivität der neuen Produkte glaubhaft vermitteln, müssen sie das Markenversprechen aus dem Effeff kennen und alle Produkt-Vorteile verstehen und erklären können. Oft sehen wir, dass die Entwicklung von Eigenmarken auch daran scheitert, dass der eigene Vertrieb nicht mitgenommen und mit den richtigen Incentives entsprechend motiviert wurde.
In 4 Schritten zur erfolgreichen Eigenmarke
Zusammengefasst lässt sich also sagen, dass Eigenmarken im heutigen Markt ein geeigneter Weg sind, um mit dem immer stärker werdenden Wettbewerbsdruck fertigzuwerden. Dafür benötigen Großhändler eine strukturierte Analyse des bestehenden Marktpotenzials, eine konsistente strategische Positionierung, dazu passende Pricing- und Promotion-Strategien sowie nicht zuletzt ein gut geschultes und voll motiviertes Vertriebsteam.